Schön - und schwer
Teilnehmerin Sophia Hose aus Hammelburg berichtet:
Zu meinem 19. Geburtstag im Juli diesen Jahres bekam ich von meiner Tante eine Karte geschenkt. Zu sehen ist auf dieser eine Statue, die auf einer Stuhllehne balanciert. Mit weit ausgebreiteten Armen macht sie einen großen Schritt. Ein Fuß befindet sich gefährlich nah am Abgrund. Als ich die Karte umdrehte, las ich den Titel des Kunstwerks: "Mut zum Wagnis". In den Tagen vor meiner Abreise zum Weltjugendtag musste ich oft an das Bild auf der Karte denken.
Schritt ins Unbekannte
Auch ich machte mit dieser Reise einen Schritt ins Unbekannte, denn ich reiste alleine mit einer fremden Gruppe. Werde ich Menschen kennenlernen, mit denen ich diese prägenden Ereignisse teilen möchte? Passe ich überhaupt in diese Gruppe? Bin ich vielleicht nicht fromm genug oder zu kritisch, um dort Anschluss zu finden? Trotz aller Zweifel aufzubrechen, kostete mich viel Mut zum Wagnis.
Schon beim Aussendungsgottesdienst in der Würzburger Jugendkirche sollte mein Mut belohnt werden. Ehe ich mein Gepäck abgestellt hatte, traf ich eine Gruppe junger Leute an, die mir auf Anhieb sympathisch waren. Nach einem Abendessen im Kilianeum brach meine Reisegruppe schließlich Richtung Frankreich auf, wo unser erster Zwischenstopp stattfinden sollte. Nach 12 Stunden Busfahrt kamen wir also in Rouillac, der Partnerstadt von Wiesentheid, an. Kaum aus dem Bus ausgestiegen wurde uns bereits das erste Glas Cognac in die Hand gedrückt. Man kann den Französ*innen sicher nicht nachsagen, sie seien nicht gastfreundlich :)
Gastfreundschaft
Nach einer mäßig erholsamen Nacht auf dem Turnhallenboden startete der Würzburger Bus noch vor Sonnenaufgang. Nächstes Ziel: Nossa Senhora de Fátima, Portugal! In dieser Gemeinde waren wir während der "Tage der Begegnung" untergebracht. Nach unserer Erfahrung in Frankreich waren wir auf einiges vorbereitet, das uns bei der Ankunft in Portugal erwarten könnte. Die Portugies*innen schafften es jedoch, all diese Erwartungen meilenweit zu übertreffen. Als der Bus in die Straße einbog, die zur Kirche führte, hörten wir bereits Musik und jubelnde Menschen. Das ganze Dorf war auf den Beinen, um uns klatschend und singend zu begrüßen.
Ich erinnere mich, dass mich diese unbändige Freude der Portugies*innen zunächst überfordert hat. Wie können sich Menschen, die ich vorher noch nie in meinem Leben getroffen habe, so sehr freuen, dass ich da bin? Die kennen mich doch gar nicht! Noch war mir nicht wirklich bewusst, was Gastfreundschaft bedeutet.
Die nächsten Tage in der Pfarrei waren von früh bis spät mit Programmpunkten gefüllt. Immer wenn ich glaubte, jetzt könnte eigentlich kein schönerer Gottesdienst, keine spaßigere Aktivität, keine tollere Feier mehr kommen, übertrafen die Portugies*innen sich ein weiteres Mal selbst. Wir gestalteten Fliesen, die nun die Fassade der Kirche in Nossa Senhora de Fátima zieren, fuhren gemeinsam Kanu, veranstalteten eine Schnitzeljagd und - besonders wichtig - wir aßen zusammen. Schnell verstand ich, dass in Portugal gemeinsames Essen eine wesentliche Rolle spielt. Besonders begeistert waren wir von der portugiesischen Süßspeise Pastel de Nata, einem Vanille-Pudding-Teilchen, das wirklich himmlisch schmeckt.
Beinahe genauso wichtig wie das gemeinsame Essen ist für die Portugies*innen ohne Zweifel das Feiern! Sowohl auf der "Party der Nationen" in Aveiro, bei der sich verschiedene Länder gegenseitig ihre Kulturen vorstellten, als auch beim Pfarrfest zum Abschluss tanzten wir ausgelassen bis in die Nacht hinein - und das ohne auch nur einen Tropfen Alkohol getrunken zu haben!
Am letzten Abend in der Pfarrei saßen wir noch lange mit unserem Gastbruder bei einer Tasse Tee und Keksen auf dem heimischen Balkon. "Ein Teil von Euch wird immer in unserer Familie, in unseren Kirchen und unseren Herzen bleiben!", sagte er zu uns. Der Abschied am nächsten Tag war für uns alle schwer, in der Kirche flossen nicht nur bei den Pilger*innen, sondern auch bei den Gastfamilien die Tränen. Eins ist sicher: Ich möchte wiederkommen!
Über Fátima ans Ziel
Auf dem Weg nach Lissabon machten wir einen Stopp in Fátima, dem bekanntesten Wallfahrtsort Portugals. Dort soll Maria im Jahr 1917 drei Hirtenkindern erschienen sein. Ich muss zugeben, dass mich der Besuch dort eher befremdet hat. Ich sah dort Menschen, die wie von Sinnen schwankend Rosenkranz beteten, unglaublichen Prunk, eine Kirche mit 9000 Sitzplänen und den größten Kirchplatz der Welt, der mir völlig überdimensioniert scheint.
Wenige Stunden später kamen wir in Torres Novas an, einer Gemeinde etwa 100 Kilometer außerhalb von Lissabon. Die zweite Gastfamilie war ein besonderes Highlight meiner Reise: Wir wohnten auf einem alten portugiesischen Bauernhof, mitten auf dem Land. Es gibt Feigenbäume, eigene Ziegen, Schafe und sogar Welpen. Obwohl unsere Unterkunft sicher schon genug zu bieten gehabt hätte, um uns eine Woche lang zu faszinieren, nahmen wir jeden Tag mehrere Stunden Busfahrt auf uns, um am Weltjugendtagesprogramm in Lissabon teilnehmen zu können – und natürlich, um die Stadt zu besichtigen.
Welt-Jugend(?)-Tag
Weniger begeistert als von der Stadt mit ihren vielen verwinkelten Gässchen war ich vom eigentlichen Programm des Weltjugendtages. Die uns als "unvergesslich" und "tief bewegend" angekündigten "Massengottesdienste" zur Eröffnung des Weltjugendtages, aber auch zur Begrüßung des Papstes werden mir mit Sicherheit lange in Erinnerung bleiben - doch wohl eher im negativen Sinne. Die Gottesdienste wirkten auf mich wie eine Demonstration von Macht, übertriebener Heiligkeit und Reichtum. Ich hatte den Eindruck, dass die Bischöfe auf der Bühne mehr für sich selbst feiern als für uns. Ist es nicht paradox, dass beim Weltjugend(!)tag der Altersdurchschnitt der Menschen um den Altar jenseits der sechzig liegt? Und nicht nur das: Bekanntermaßen sind etwa 50 Prozent der Jugendlichen nicht-männlich. Dass trotzdem fast ausschließlich Männer die Lesungen lesen, die Psalmen singen und die Fürbitten vorbeten, scheint mir also keine geeignete Repräsentation der Jugend zu sein. Ist es nicht paradox, dass die Bischöfe und Priester in kilometerlangen, geschlossenen Reihen direkt vor dem Altar sitzen, anstatt sich unter die Jugendlichen zu mischen? Dort in der ersten Reihe unter den Sonnenschirmchen ist es selbstverständlich bequemer, als in der sengenden Hitze zu brüten, die der Rest von uns ertragen muss.
Mich hat es wütend gemacht zu sehen, dass die Forderungen, die durch den Synodalen Weg eigentlich an den Vatikan herangetragen werden sollten, offensichtlich auf taube Ohren stoßen. Dass man in Rom nichts verstanden, nichts gehört hat von einer Kirche, die Inklusion, Demokratie und Gleichberechtigung vorlebt. Und trotz allem rufen die Jugendlichen um mich herum in vielen verschiedenen Sprachen: "Wir sind die Jugend des Papstes!" Nein, das bin ich nicht.
Vom Mut, niemals aufzugeben
Mein Enthusiasmus für den eigentlichen Höhepunkt des Weltjugendtages, nämlich die Vigil mit dem Papst im Park Tejo, war durch meine bisherigen Erlebnisse zugegebenermaßen ohnehin schon gedämpft. Trotzdem packte ich meinen Rucksack und lief gemeinsam mit meiner Gruppe bei 40 Grad Außentemperatur zu dem Sektor, in dem wir die Nacht auf Isomatten verbringen sollten. Wenn 1,5 Millionen Menschen zur gleichen Zeit versuchen, das gleiche Ziel zu erreichen, ist Chaos eigentlich vorprogrammiert. Die Massen schoben sich durch die Straßen - wer nicht weiterlief, hatte verloren. Die Krankenwagen steckten in der Menschenmenge fest, es bewegte sich nichts vorwärts und nichts rückwärts. Endlich auf unserem Platz angekommen bauten wir uns einen kärglichen Sonnenschutz aus Handtüchern, unter denen wir sehnsüchtig den Sonnenuntergang erwarteten.
Als der Papst dann kam, tauchte die Sonne den Platz sanft in goldenes Licht. Gespannt, ob sich unsere bisherigen Strapazen endlich lohnen würden, kletterte ich auf eine Absperrung, um den Papst aus nächster Nähe zu sehen. Noch bevor ich ihn sah, hörte ich, dass er kommt. Die Menschen um mich herum fingen besinnungslos an zu kreischen. In dem Moment schoss mir der Gedanke durch den Kopf, ob man dem Papst heutzutage überhaupt noch zujubeln kann. Vor mir sah ich dann einen alten, gebrechlichen Mann, der sich kaum aus dem Rollstuhl erheben konnte. Er tat mir leid, denn er, der erst vor einer Woche eine Bauchoperation überstanden hatte, ist auch nur Marionette eines unbarmherzigen Systems. Sichtlich geschwächt schien der Papst sein Predigtkonzept fast gänzlich über Bord zu werfen, um nicht so lange sprechen zu müssen. "Fürchtet Euch nicht!", sagte er. Er sprach uns Mut zu, niemals aufzugeben, denn die Welt brauche unseren Willen zu Veränderung. Und unsere Kirche? So schön die Worte des Papstes auch klingen mögen, kann ich sie trotzdem nicht ernst nehmen. Wie kann das Oberhaupt der Kirche, die auf dem Weltjugendtag eindrücklich gezeigt hat, dass Veränderungen nicht gewünscht sind, so etwas sagen?
Das Wagnis hat sich gelohnt - Was ich mitnehme ...
Was nehme ich mit, wenn ich an meine Reise zum Weltjugendtag denke? Es war gleichzeitig sehr, sehr schön und sehr, sehr schwer. Die Freundschaften, die ich auf der Reise schließen durfte, und die Verbindung zu meinen Gastfamilien, die hoffentlich noch lange besteht, sind unheimlich viel wert. Wenn ich daran zurückdenke, wie mir in Belém die Sonne ins Gesicht schien und wir miteinander lachten, weil der Zimt des Pastels an unser aller Nasen klebte, wie die Fahnen beim Aussendungsgottesdienst wehten und Rassismus und Fremdenfeindlichkeit für einen Moment überwunden schienen, wie die Gastmutter mich anschaute und sagte, dass wir für immer ein Teil der Familie bleiben, dann kann ich aus vollem Herzen sagen: "Diese Reise hat sich gelohnt!" All die inspirierenden Begegnungen mit Gleichgesinnten v.a. im deutschen Pilgerzentrum werde ich immer in guter Erinnerung behalten. Ich werde in Erinnerung behalten, dass es Menschen in dieser Kirche gibt, für die es sich zu bleiben lohnt, weil sie nicht gehorchen, sondern kritisch sind und bleiben. Weil sie dem Bischof nicht jedes Wort von den Lippen ablesen, sondern laut sind, wenn Menschen Unrecht getan wird.
... und was schwer war
Aber es war eben nicht nur schön, sondern auch schwer. Es war schwer zu ertragen, dass mich die Gottesdienste und Wallfahrtsorte mehr befremden, als dass sie mir gut tun. Es war schwer, dass der Papst nur leere Worte zu uns spricht, während die Bischöfe ihre Macht demonstrieren. Die letzten zwei Wochen möchte ich nicht zu den schönsten meines Lebens verklären. Sie werden mir als die erlebnisreichsten im Gedächtnis bleiben. Mut zum Wagnis lohnt sich eben doch.
Sophia Hose