Unter dieser Überschrift gibt unser früherer Pfarrer (2010 - 2013) Christian Müssig in unregelmäßigen Abständen "Lebenszeichen" aus seinem jetzigen Wirkungsbereich, der Stadt Santa Cruz in Bolivien. Diesmal: "Corona zwingt zum Ausstieg aus den gewohnten Bahnen"
Außerdem finden Sie hier eine Kontonummer für Spenden zugunsten der wichtigen Arbeit von Pfarrer Müssig in Bolivien ...
Rundbrief aus Bolivien
Santa Cruz, den 30.05.2020
Liebe Freunde in Deutschland!
Seit gut neun Wochen dauern nun die Quarantänemaßnahmen in Santa Cruz an, und wie alle anderen Menschen versuche ich diese auch einzuhalten. Gestern gab es zwei Wochen Verlängerung bis Mitte Juni. Mit der Quarantäne versucht die Regierung die Ausbreitung des Covid Virus zu verlangsamen. Bolivien ist in höchstem Maß verwundbar, weil unser öffentliches und privates Gesundheitssystem auch ohne Covid in keiner Weise auf Krankheitswellen vorbereitet ist. Hier wird es auch in den nächsten Wochen um das praktische Leben und Überleben gehen.
Die letzten Wochen war ich u.A. damit beschäftigt im hiesigen 'Hospital Catolico' den Aufbau einer eignene Corona-Virus Abteilung zu begleiten. Als Pfarrei und im Verbund mit den Caritas-Gruppen an vielen Orten unterstützen wir, soweit wir können. Es gibt eine erstaunliche Kreativität und auch Solidarität. Wir sagen dazu z.B.'olla común': Nachbarschaftsküche. In einem riesigen Kochtopf wird gekocht, was aufzutreiben ist. Ich habe mehr als eine Tonne schwarze Bohnen gekauft, zentnerweise Reis und auch entsprechende Sachspenden bekommen. Auf Stadtebene ist es ein Tropfen auf den heißen Stein, aber die Nachbarschaftsinitiativen, 'Caritas Parroquiales' und die (katholische) Kirche insgesamt werden eine Duftmarke hinterlassen. Nicht nur wegen der Bohnen: Nämlich in schwierigen Zeiten bei den Leuten zu sein. Unsere Ehrenamtlichen riskieren dabei ihre Gesundheit.
Mein Quarantäneleben als Pfarrer sieht natürlich jetzt ganz anders aus. Keine Messen mehr, bis auf ein oder zwei Videomessen in der Woche, unter Ausschluß der Öffentlichkeit, ab und an eine Aussegnung zu Hause, Besuche im 'Hospital Catolico', Ausfahrten mit der Caritasgruppe zum Hamstern. Im Grunde bin ich überflüssig, unser Gemeindeleben, so vorhanden, hat sich in die Privathäuser verlagert.
In der 'Sagrada Familie' (Anmerkung: die Kirche, für die Pfarrer Müssig zuständig ist) sind alle Stühle und Kirchenbänke zur Seite gerückt, weil es durch die fußballgroßen Löcher im Palmdach entweder staubt oder regnet (wechselweise). Um das Dach ist mir bange, um die Kirche nicht. Sie wird mich überleben, sie wird diese Zeit überleben und vielleicht sogar neubelebt aus ihr hervorgehen. Der Geist weht wo und wann er will. Dennoch fürchte ich mich echt ein wenig vor der Rückkehr zur Routine de Alltags. Was bedeutet das nach 9 Wochen kreativem Stillstand plus Verlängerung? Werde ich wieder wie vorher 'funktionieren' (müssen)? Vielleicht ist ein Teil der Hausaufgaben schon erledigt, und wir strecken uns danach aus, wie wir die Einträge als Geistesgaben gut im Gedächtnis behalten ...
Corona legt gnadenlos unsere Schwächen offen. Wir können sie nicht mit Geld überdecken. Hat es hier nicht. Und ohne Euch, ihr lieben Kirchensteuerzahler in Deutschland, gäbe es für mich für den Rest des Jahres nur schwarze Bohnen und Reis,wahlweise ohne das Eine oder Andere. Corona zwingt zum Ausstieg aus den gewohnten Bahnen. Ich versuche das als Einladung göttlicher Pädagogik zu verstehen: ein Lernprojekt, wenn auch um eines hohen Preises willen, lokal und global. Wir können immer noch etwas aus dem machen, was es mit uns macht. Nicht alle sind auf der Intensivstation, lebensgehemmt, aber alle können sich intensiv von dieser kollektiven Erfahrung für das Leben anstecken lassen. Zumindest diese Wochen werde ich dafür noch nützen können.
'Entoces', herzliche Grüße und Gottes guten Geist für das Leben mit Corona. Bleibt lebendig am Leben dran. Wo und wie auch immer!
Danke für Eure Gebete, materielle Unterstützung, stille Verbundenheit.
Ich sage allen 'A Dios', denn keiner von uns weiß ja, ob und wo und wie wir uns wiedersehen. Seid behütet!
Christian Müssig, Pfarrer
P.S.: Steht irgendwo ein fahrbares Röntgengerät herum? Muss nicht neu sein ...
P.P.S.: Liegen noch auf Euren Kirchenstiftungskonten Messstipendien herum?
Der komplette Rundbrief im Wortlaut >
Spendenkonto
Kath. Kirchenstiftung Hammelburg
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