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Vor einiger Zeit hieß es in einer Würzburger Tageszeitung: "Die Kindertageseinrichtungen haben Probleme aufgrund des Fachkräftemangels".
So weit, so richtig - und trotzdem: Weit gefehlt und ein gewaltiger Irrtum!
Nicht die Kindertageseinrichtungen haben Probleme, sondern die mehr oder weniger jungen Familien. Und auch wenn dies einmal mehr in der Corona-Zeit ignoriert wurde, die Gesellschaft insgesamt hat ein Problem!

"Aufgemerkt" und "Nix für ungut" Ein etwas anderer Adventsgruß
von Michael Deckert, Leiter des Referats "Kath. Kindertageseinrichtungen und Kinderhilfe" bei der Caritas Würzburg:

Wenn die Kindertageseinrichtungen nicht mehr "funktionieren", wenn sie - wie es immer in der Vergangenheit geschehen ist - "nicht (mehr) alles richten können": Wer kann dann eigentlich noch arbeiten?
Nicht nur die Millionen berufstätiger Eltern sind abhängig davon, dass es in diesem Land gute Orte für Kinder gibt - wir alle sind abhängig davon!

Und wir steuern auf eine echte Krise vergleichbar mit der Energiekrise zu. Auch wenn Zuschreibungen nicht weiterführen: Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass alle Appelle an die Politik verhallen werden. Geschehen in der Vergangenheit, z.B. im Jahr 2007, als darauf hingewiesen, dass es für all die gut gedachten Rechtsansprüche einfach auf Dauer zu wenig Personal geben wird (Schlagwort: Demographische Entwicklung). Und die Prognosen geben Anlass zur Sorge: Mindestens 100.000 Fachkräfte sollen angeblich bereits jetzt fehlen, bis 2030 sollen es dann doppelt so viele sein.

Eine Wahrnehmung von mir, die zugegebenermaßen empirisch nicht mit Fakten belegt ist: Die Mitarbeiterinnen in den Kindertageseinrichtungen nähern sich der hoffnungslosen Überlastung, und sie sind und werden häufig krank. Es besteht die deutliche Gefahr des "Hinschmeißens". Ein guter Nährboden für zweifelhafte Protagonisten, die suggerieren, dass sie sich des Problems annehmen, aber denen es streng genommen nur um die Eigendarstellung geht.

Es ist im Prinzip schon alles kommuniziert, und die Reaktion ist einmal mehr "lautes Schweigen". Gut, die strukturelle Rücksichtslosigkeit gegenüber Kindern und deren Familien war bereits in der Vergangenheit ein Merkmal dieser Gesellschaft und "der Politik". Wie bezeichnete der Bundeskanzler Schröder das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Jahre 1998: "Familie und das ganze Gedöns".

Es liegt aber sicherlich nicht nur an der mangelnden Empathie für die jüngste und schwächste Nichtwählergruppe - dies sind die Kinder - sondern die Krise macht ein Dilemma sichtbar: Immer mehr Eltern müssen (und wollen?) ihre Kinder immer früher in eine Kindertageseinrichtung geben. Damit drückt sich ohne Zweifel das Verständnis der aktuellen Familienpolitik aus. Wenn dem so ist, dann müsste dies auch möglich sein bzw. ermöglicht werden.

Dumm nur, dass es bereits jetzt nur mit größter Anstrengung gelingt, all diese Kinder angemessen zu erziehen, zu bilden und zu betreuen. Es gibt schlicht und ergreifend einfach nicht genügend Personal. Es werden Gruppen geschlossen oder gar nicht erst eröffnet und Öffnungszeiten reduziert. Alle Bemühungen, mehr Plätze zu schaffen, ignorieren dieses Grundproblem, mehr noch sie verschärfen es.

Und nun? Tatsache ist, dass die großen Versprechen der Familienpolitik (siehe auch der Rechtsanspruch auf die Betreuung in der Grundschulzeit ab 2026) qualitativ nicht einzuhalten sind und dass Träger, pädagogisches Personal, Kinder und Familien im Moment damit alleine gelassen werden. Und das kommt einem Verschließen der Augen vor den Tatsachen gleich.

Deshalb ein Vorschlag: Es bedarf einer ernsthaften und schonungslosen Analyse und eines lautes Nachdenkens ohne Tabus und Interessensvertretungen. Kindertageseinrichtungen sind die ersten Bildungsorte, auch wenn diese Tatsache kein mediales Echo findet. Sie sind aber auch quasi die Motoren für die Wirtschaft, da sie inzwischen Erwerbstätigkeit überhaupt erst ermöglichen. Eine Investition in diesen Bereich ist eine Investition in die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland.

Die Konsequenz daraus: Es muss dringend kontinuierlich, nachhaltig und massiv in den Bereich der Kindertageseinrichtungen investiert werden und zwar ohne "Wenn und aber". Es klingt wie ein Treppenwitz, wenn man sich z.B. bewusst macht, dass trotz kleiner Veränderungen eigentlich noch immer das Raumprogramm aus den achtziger Jahren des letzten Jahrtausends gültig ist. Oder: die Diskussion und das Schachern um die Finanzierung der Sprach-Kitas, das an Peinlichkeit nicht zu überbieten war. Das wird in den vor uns liegenden Jahren nichts an der angespannten Lage ändern, aber es wäre ein deutliches Zeichen im Sinne von "Wir packen es (endlich) an".

Also seien wir ehrlich: Wenn die Kindertageseinrichtungen der Garant für die Möglichkeit einer Erwerbstätigkeit sind, dann muss die Last, die die Kindertageseinrichtungen im Moment alleine tragen, gesellschaftlich anders verteilt werden. U.a. müssen Arbeitgeber flexibler werden oder Männer endlich auf breiter Front ran.

Denn: Vielleicht ist in Zukunft einfach nicht mehr als ein zeitlich festgelegter Sechs-Stunden-Zeitkorridor möglich? Die Schulen praktizieren dies gesellschaftlich akzeptiert ja auch. Und 14 Wochen Ferien sind wahrhaftig nicht mit den Urlaubsansprüchen von "normalen" Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Einklang zu bringen. Ganz nebenbei bemerkt: Die Kindertageseinrichtungen sind Orte, an denen sich heute oft ein großer Teil der Kindheit abspielt und nach wie vor "lernt die Zukunft" in den Kindertageseinrichtungen.

Es bedarf vieler "Runder Tische" sowohl auf Bundesebene, auf Landesebene, auf kommunaler Ebene, um die Herausforderungen endlich gezielt in Angriff zu nehmen. Und die Themen sollten diesmal nicht das finanzielle Defizit der Kindertageseinrichtung oder die finanzielle Förderfähigkeit sein, sondern: Wie ermöglichen wir unter diesen Bedingungen und Voraussetzungen ein gute Kindheit?

Wie bereits geschrieben: "Aufgemerkt" und "Nix für ungut". Ich danke Ihnen allen für Ihre Arbeit, Ihr gesellschaftliches Engagement und wünsche Ihnen eine ruhige Adventszeit, ein frohes Weihnachtsfest und einen guten Abschluss des Jahres.

Es grüßt Sie herzlich aus dem Caritashaus Würzburg
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Referatsleiter
Caritasverband für die Diözese Würzburg e. V.
Abteilung Soziale Dienste, Referat Kath. Kindertageseinrichtungen und Kinderhilfe
Franziskanergasse 3, 97070 Würzburg, Telefon 0931 386-66725

P.S.: Eine Weiterlgabe dieser Gedanken ist durchaus im Sinne des Verfassers 😉

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